"Das ganze Leben geht auf eine Begegnung zu." Benedikt XVI.

Gedanken zum Karsamstag 2021

Liebe Schwestern und Brüder!

Ich erinnere mich – Ihnen wird das vielleicht zunächst seltsam erscheinen – an diesem Karsamstag an die Religiösen Kinderwochen. Ein Höhepunkt dieser Woche ist für die Kinder und mehr noch für unsere jugendlichen Helfer die Nachtwanderung. Akribisch bereiten die Jugendlichen die ein oder andere raffinierte Aktion vor, um den Kindern eine spannende Nachtwanderung zu bescheren.

 Dabei ist es glaube ich ein Faktum, welches den Kindern – und wenn wir ehrlich sind auch uns Erwachsenen – am meisten Angst bereitet und Mut abverlangt: In den dunklen Wald hineinzugehen. Denken wir nur an die uns vertrauten Märchen…Der dunkle Wald ist das Urbild unserer Angst, auch wenn wir noch klar wissen, dass dort nichts Böses lauert.

Was ist es, dass uns Menschen solche Angst bereitet?

Die Angst vor dem Dunkel, dem Allein-Sein, dem Nichtwissen, was dort ist und kommt. Die Furcht, hier nicht mehr herauszukommen?

Vermutlich werden in einem dunklen Wald unsere menschlichsten Urängste hervorgerufen und angetastet.

Liebe Schwestern und Brüder, wenn wir heute am Karsamstag die gespenstische Ruhe des Todes spüren, wenn wir wahrnehmen, dass wir uns in einem Vakuum, in einer Zwischenzeit befinden, dann konfrontiert uns die Kirche genau mit diesen unseren menschlichen Urängsten.

Wir blicken auf das Heilige Grab Jesu und erinnern uns an den Teil unseres Glaubensbekenntnisses, in dem wir bekennen, dass Jesus in das Reich des Todes hinabgestiegen ist.

Lassen Sie uns gemeinsam darüber nachdenken, in welches Reich der Herr hier hinabgestiegen ist.

Wenn wir uns das fragen, dann hilft uns ein Blick in das Alte Testament. Das hebräische bzw. aramäische Wort scheol, welches wir oft mit „Grab“, aber auch mit Hölle übersetzten lässt in seiner etymologischen Tiefe noch weitere Übersetzungen zu: „Ort der Stille“, „Ort der Einsamkeit“, „Ort der Finsternis“. Es ist in der Vorstellungswelt des Alten Testaments der Ort, an den alle Toten gehen müssen – die Gerechten und die Ungerechten. Es ist ein Ort, der gänzlich vom Leben angeschnitten ist.

Wenn wir uns intensiv auf diese Realität einlassen, dann erahnen wir einen schmerzvollen Zusammenhang zwischen der unbestimmten Angst nicht nur der Kinder vor dem dunklen Wald und dem Reich des Todes, in das unser Gott in seinem Sohn hineingegangen ist.

In Gänze vom Leben abgeschnitten sein, in Gänze allein und verlassen zu sein – das ist ein Ort, den sich niemand für sich aussucht: sprichwörtlich die Hölle.

Wenn wir uns aber ganz auf die Dynamik unseres menschlichen Lebens einlassen, dann wissen wir auch, dass dieser Moment für jeden von uns kommen wird: den einen Weg können wir nur allein gehen: den Tod.

Wie unsere RKW-Kinder sprichwörtlich erlöst sind, wenn sie aus dem dunklen Wald wieder herauskommen, so erhofft wohl jeder Mensch auch einen Ausweg aus dem Ort der absoluten Verlassenheit. Wenn wir auf den Leichnam des Herrn schauen, dann bleibt für den Karsamstag die Gewissheit, dass unser Gott den gleichen Weg gegangen ist, den auch wir einmal werden gehen müssen. Hoffnung und Zuversicht kann für uns nur sein, dass er damit das Leben selbst wird (vgl. GL 460,5).

Gemeindereferent

Matthias Demmich