„Wir glauben nicht an Gott, weil wir ihn brauchen, sondern weil er uns liebt“, Kardinal Gerhard Ludwig Müller

Predigt zum 6. Sonntag in der Osterzeit - Gebote ermöglichen erst die Freiheit

Evangelium:  Joh 14, 15-21  (Predigt hier als pdf)

Liebe Schwestern und Brüder,

Liebe und Gebote! Zwei Reizthemen und das nicht nur unter uns Christen. Denn vielfach werden zum Beispiel die Gebote eher als unfrei machend empfunden. Außerdem werden diese oft auch als ein Relikt aus vergangenen Zeiten wahrgenommen und als nicht unbedingt zeitgemäß. Wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, denken wir doch auch manchmal: „Die anderen haben es doch viel einfacher im Leben als wir!"

Sie müssen sich nicht auch noch nach irgendwelchen Geboten richten.“ Was aber leider ein kleiner Irrtum ist, denn die Gebote sind, mal abgesehen von denjenigen die sich direkt auf Gott beziehen, viel älter als das Christentum und das Judentum selbst. Beim genaueren Hinsehen bemerken wir sehr schnell, dass diese eigentlich nur das zwischenmenschliche Zusammenleben versuchen zu regeln. Denn ohne Regeln, Gebote oder Gesetze kann keine Gesellschaft existieren. Warum eigentlich nicht?

Weil der Mensch aus sich heraus nicht unbedingt immer vernünftig ist, auch wenn er sich das immer wieder gerne einredet. Das kann man jetzt gut an meinem Körperumfang erkennen und an dem, was sich gerade im Zusammenhang mit Corona in unserem Lande und der Welt so tut. Oder schauen wir zurück in unsere jüngere deutsche Geschichte. Der Kommunismus basierte ja auf dem Grundprinzip der reinen Vernunft. Geld als Zahlungsmittel wird abgeschafft und jeder nimmt sich nur so viel, was er zum Leben wirklich braucht.

Sehr vernünftig, klappt aber bis heute nicht, siehe Toilettenpapier und Flüssigseife in den vergangenen Wochen und Monaten! Der Kommunismus hatte auch kein oder kaum noch Privateigentum. Wozu auch, jedem gehörte doch alles. Wie das ausgegangen ist, daran erinnern sich die meisten von uns noch sehr gut. Wir sind noch nicht einmal über die Vorstufe des Kommunismus, dem Sozialismus, herausgekommen.

Denn das Prinzip des Volkseigentums ging von Anfang an bekanntlich auch hier ordentlich in die Hose. Wäre der Mensch wirklich so vernünftig, hätte ich kein Übergewicht und Gebote oder Gesetze wären tatsächlich nicht notwendig.

Liebe Schwestern und Brüder, doch warum empfinden vor allem wir Christen die Gebote eher als zusätzliche Last und nicht als etwas Befreiendes. Das könnte unter anderem auch daran liegen, weil wir wahrscheinlich hierbei einen kleinen Fehler im Denken haben. Jesus selbst weist uns sogar auf diesen Fehler hin, nämlich: „Der Sabbat wurde für den Menschen gemacht, nicht der Mensch für den Sabbat!“ Mk 2,27.

Wir könnten für den Sabbat auch gut die Worte „Gebote“ oder „Gesetze“ einsetzen, denn der Sabbat steht hier stellvertretend für eine Vielzahl von Geboten im Judentum zur Zeit Jesu. Schon damals machte Jesus darauf aufmerksam, dass Gebote nicht dazu da sind, menschliche Freiheit einzuschränken, sondern diese eher zu ermöglichen. Klingt vielleicht etwas paradox, ist es aber eigentlich nicht.

Denn bei genauerem Hinsehen ermöglichen Gebote tatsächlich erst die Freiheit eines jeden einzelnen von uns. Denn die Freiheit des einen, begrenzt die Freiheit des anderen und umgekehrt, aber… im guten Sinne. Aber warum tun wir uns dann dennoch so schwer damit?

Zum einen, weil wir oft ein etwas einseitiges Verständnis von Freiheit haben und zum anderen, weil wir die Prioritäten hierbei wahrscheinlich nicht richtig setzen. Wenn wir nämlich die Gebote über den Menschen stellen, also ihnen eine höhere Priorität als dem Menschen geben, hören Gebote auf, Gebote zu sein. Diese werden dann letztlich für absolut angenommen, die den Menschen stark einschränken und letztlich versklaven.

Bitte verstehen Sie mich jetzt nicht falsch, Gebote sind wichtig und sie gehören zu unserem menschlichen Dasein. Aber die Gebote sollten nicht so verstanden werden, dass diese völlig losgelöst von der menschlichen Wirklichkeit rigoros angewendet werden können. Denken wir dabei einfach nur mal an die Kriegsjahre oder die Jahre danach, wie oft hören wir aus Erzählungen, dass das Klauen von Kartoffeln vom Feld oder Briketts von Güterzugwagons oft die einzige Möglichkeit waren, um zu überleben.

Natürlich ist das Klauen auch in Notzeiten eine Verletzung des Gebotes: „Du sollst nicht stehlen!“ Aber deswegen einen Menschen gleich generell als Dieb und Brecher des 7.Gebotes zu bezeichnen, ist dann schon etwas überzogen, finden Sie nicht auch?  Natürlich müssen wir immer die Gebote auch im Blick behalten und dürfen diese nicht so einfach aufheben.

Denn Gebote sind für uns wie kleine Wegmarkierungen oder Baken an einer Landstraße, die uns helfen auf dem Weg, auf der Straße zu bleiben. Sie sagen uns nicht, ob wir zu schnell oder zu langsam gegangen oder gefahren sind, sie sagen uns auch nicht, ob es der richtige Weg oder die richtige Straße ist, sondern diese helfen uns lediglich, dass wir uns orientieren können und dabei auf dem richtigen Weg bleiben.

Und darauf kommt es doch letztlich an, liebe Schwestern und Brüder, dass wir nicht vom Weg abkommen.

Vom Weg, der da heißt Liebe zu unserem Nächsten und zum Herrn, vom Weg, der uns letztlich zu Gott und den Menschen führt. Dann dreht sich für uns die Aussage, die Jesus am Beginn des Evangeliums getroffen hat, fast ganz automatisch um: „Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten!“ in eine innere Haltung, die da heißt: Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt.“

Amen