„Wir glauben nicht an Gott, weil wir ihn brauchen, sondern weil er uns liebt“, Kardinal Gerhard Ludwig Müller

Eine „Erfolgsgeschichte“ sind wir als Kirche auf den ersten Blick wahrlich nicht - Gedanken zum 5. Ostersonntag

Predigtgedanken zum 5. Sonntag der Osterzeit (10.05.2020)      (Predigt hier als pdf)

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

Wenn wir heute wieder Gottesdienst feiern können, so werden einige von uns wohl (still oder laut) sagen: „endlich wieder normal.“
Wenn wir heute wieder Gottesdienst feiern können, so werden wir alle wohl sagen können: so ganz normal ist es dann doch wieder nicht (vor allem im Hinblick auf die neuen „Regeln“, die jetzt gelten; wie sehen wir eigentlich aus 😊). Neue Normalität, so nennt man das wohl…

Was macht die Corona-Krise mit uns als Kirche?

Was macht die Corona-Krise mit mir und Ihnen, mit uns Getauften?

Verschieben sich vielleicht jetzt (notwendigerweise?) die Prioritäten? Oder soll’s hoffentlich bald wieder so werden wie 2018, 2019…?

Es lohnt am heutigen fünften Ostersonntag ein Blick in die erste Lesung (Apg 6,1-7).

Was war damals los: Inmitten einer „Erfolgsgeschichte“ regt sich bei einigen Unmut. Die Zahl der Jünger nimmt zu, aber das Wort Gottes wird vergessen. Denn diejenigen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen sind nicht mehr im Blick: Den Witwen mangelt es am „täglich Brot“.

Was ist bei uns heute?    Eine „Erfolgsgeschichte“ sind wir als Kirche auf den ersten Blick wahrlich nicht, zumindest steigt die Zahl derer, die getauft sind nicht wirklich an. Und die Armen, was ist mit denen? Ok, wir haben viele Angebote, beispielsweise der Caritas, die große Sachen leisten. Aber tauchen in unserer Pfarrei „arme Schlucker“ auf…und wenn ja, wie gehen wir mit ihnen um?

Ein Blick zurück in die Apostelgeschichte:

Die Reaktion der Apostel ist logisch. Sie wählen sieben Männer aus, legen ihnen die Hände auf und bestellen sie für den Dienst an den Armen. Stephanus ist dabei. Das „Amt“ des Diakons ist geboren.

Der „soziale Leitungskreis“ ist gegründet. Die können sich drum kümmern…

Wie schauts nun wieder bei uns aus?

Wäre dieses dumme Virus nicht, wir hätten es letzte Woche mit Vinzent Pichazek und Michael Kreher genauso gemacht, wir hätten sie zu Diakonen geweiht…Aber wofür? Mal Hand aufs Herz: Wofür würden Sie denn gern unsere Diakone eingesetzt wissen? Was wäre denn, wenn ein Diakon sich nur der Sorge um die Armen und Kranken widmen würde, aber das ganze liturgische Gedöns wegfiele?

Lasst das Soziale doch die Caritas, die Diakonie, die Tafel machen…Die können das (und werden dafür bezahlt!)…Das ist übrigens auch ein Selbstbekenntnis meinerseits!
Ich will aber natürlich nicht verschweigen, dass wir in diesem Spiegel durchaus viel Gutes sehen können, was in dieser Zeit auch möglich ist: Vielleicht haben auch sie ein Lokalunternehmen mit einem Gutscheinkauf unterstützt…haben wie ich die Zeit mal genutzt und ihren Kleiderschrank entrümpelt und die alten, aber noch brauchbaren Sachen gespendet…Ich war übrigens auch sehr froh, dass ich in den Wochen des „lock-downs“ von vielen gehört habe, die den Alten und Einsamen einen Brief geschrieben haben, sich um Einkäufe gekümmert haben…

In der Theologie gibt es so eine schöne Sache, die wir als die vier Grundvollzüge der Kirche bezeichnen:
•    Liturgie (Gottesdienst)
•    Martyria (Zeugnis)
•    Koinonia (Gemeinschaft) und…
•    Diakonie (Dienst am Nächsten).

Nur wenn diese vier Grundvollzüge zumindest ansatzweise verwirklicht sind, ist Kirche wirklich Kirche Jesu Christi.

Liebe Gemeinde, in diesen Tagen und Wochen sind unzählige Menschen in tiefer Sorge um ihre wirtschaftliche und berufliche Existenz. Ich fürchte wie viele andere auch, dass sich die Zahl derer erhöhen wird, die in sozial schwierigen Verhältnisse geraten. Und ich frage mich nicht nur angesichts der wirtschaftlichen, sondern auch der gesellschaftlichen, medizinischen, psychischen Folgen (gar Kollateralschäden) dieser Pandemie durchjaus ernsthaft: Was kann unser Beitrag als Kirche in dieser Zeit sein?
Blicken wir einfach mal nüchtern auf die letzten Wochen:

Wir diskutieren außerordentlich intensiv darüber, wie es gehen kann, dass wir endlich wieder Eucharistie feiern dürfen und gleichzeitig alles einhalten, was es einzuhalten gilt. Verglichen mit dem Aufwand und der Energie, der für die Fragen der Liturgie getrieben wird, kommt den Fragen wie wir als Kirche in diese konkrete Zeit hinein Zeugnis geben können, wie wir Formen der Gemeinschaft im Geiste Jesu initiieren und fördern können und wie wir unseren diakonischen Auftrag wahrnehmen können (nicht nur gerade jetzt) erstaunlich wenig Aufmerksamkeit zu.

Vergessen sollten wir aber folgendes nicht:

•    Wenn es wahr ist, dass wir alle Kirche sind – dann gehen uns alle auch alle vier Grundvollzüge an! Die Diakonie, den Dienst am Nächsten sollen und dürfen wir nicht nur den „Profis“ überlassen!

•    Alle vier Grundvollzüge sind essentiell für uns als Kirche. Liturgie ist nicht mehr oder weniger wichtig als die Diakonie! Die heutige erste Lesung mahnt uns nicht zu Unrecht: „Es ist nicht recht, dass wir das Wort Gottes vernachlässigen und uns dem Dienst an den Tischen widmen.“ Und das hält uns eigentlich auch den Spiegel vor, dass dieser Auftrag auch vor Corona schon da war.

Und vor einem letzten Trugschluss sollten wir uns hüten:

Manch einer glaubt, dass auf Grund dieser alles erschütternden Krise nun die Menschen wieder in Scharen in die Kirche rennen werden. Mitnichten!
Würden wir es eigentlich auch machen, wenn wir von vornherein wissen, dass es uns „nichts bringt“? Lautet nicht der Auftrag Jesu „Geht zu allen Menschen…!“ – und nicht nur zu denen, die kirchlich und liturgisch schon stubenrein sind?

Vielleicht wird das (ist das!) die Gretchen-Frage, ob wir unseren Auftrag als Christen und als Kirche wirklich angenommen haben…

Liebe Schwestern, liebe Brüder, auch ich freue mich mit Ihnen, dass wir endlich wieder in größerer Gemeinschaft Gottesdienstfeiern können. Ich möchte uns dennoch an diesem Sonntag mal diese Überlegungen im Hinblick auf die Prioritäten von Kirche zumuten.

Wenn wir auch in Zeiten von Corona die Kraft und die Möglichkeiten fänden, uns als Pfarrei, als Gemeinde, als Familie, als Einzelne darüber Gedanken zu machen (und im Idealfall was draus zu machen), dann ist es mir um die Zukunft unserer Kirche nicht bange!

Gemeindereferent
Matthias Demmich